Angerburg, 15. Februar 1901

In Sachen gegen das Patronat wegen  für Reparaturen an Kirche und Schule in Rosengarten
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Lieferung des Kalkes
teile ich Ew. Ehrwürden ganz ergebenst nachstehendes mit.

In erster Reihe kommt das Provinzialrecht zur Anwendung. Dieses bestimmt, dass nur an unvermögende Kirchen Kalk unentgeltlich vom Patronat zu liefern ist.

Nach dem Schreiben des Herrn Superintendenten vom 6. Januar scheint die Kirche unvermögend zu sein, was durch die hohen Umlagen nachgewiesen werden soll.

Kann der Beweis der Unvermögenheit geführt werden, so ist es Sache des Patronats, seinerseits den Beweis dafür zu erbringen, dass Verjährung eingetreten ist.

Dieser Beweis scheint mir aber für das Patronat nicht ganz leicht zu sein, da auf einen 44-jährigen Zeitraum vom Jahr 1900, also auf das Jahr 1856 zurückgegangen werden muss.

Das Patronat muss beweisen, das auch seit dem Jahr 1856 bis zum Jahre 1895 niemals Kalk geliefert worden ist, trotzdem eine diesbezügliche Aufforderung an das Patronat ergangen ist.

Selbstverständlich lässt sich der Ausgang eines etwaigen Prozesses nach dieser Richtung nicht übersehen.

Vielleicht lässt sich aus den dortigen Kirchenakten über die diesbezüglichen Vorgänge seit 1856 etwas feststellen.

Von der Verjährung würde auf keinen Fall dann die Rede sein könne, wenn die Kalklieferung deshalb nicht erfolgt ist, weil das Patronat die Kirche für vermögend gehalten hat.

Sollte der Gemeindekirchenrat es auf einen Prozess ankommen lassen, so stehen ihm zwei Wege offen.

1) Es kann der Ersatz der Kosten für den von der Kirche verwendeten Kalk von dem Patronat erstattet verlangt werden, voraussichtlich sind die Kosten nicht sehr hoch, so dass die Zuständigkeit des Amtsgerichts Angerburg begründet würde.

2) Es kann eine sogenannte Feststellungsklage der Kirche auf Gewährung des Kalks erhoben werden. Diese Klage würde wohl zur Zuständigkeit des Landgerichts gehören, da das Objekt sicher über 300 Mark beträgt.

In beiden Fällen hängt der Ausgang des Prozesses davon ab, dass

1. die Kirche unvermögend ist,

2. die Verjährung in der vorgeschilderten Weise nicht eingetreten ist.

Die mir übersandte Anlage füge ich ergebenst bei.

Hochachtungsvoll

Der Rechtsanwalt
Stein

Zitierhinweis

Max Stein an Otto Junkuhn. Angerburg, 15. Februar 1901. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail.xql?id=lehndorff_gjp_prl_2cb