Steinort, 10. August 1884
Allergnädigster Kaiser, König und Herr!
Siehe das Dokument vom 5. August 1884.
[Schließen]Euer Majestät allergnädigstes Meingedenken und der Ausdruck
desselben in dem reizenden Briefe, den ich aus Gastein empfangen
durfte,
hat mich tief gerührt, und ich küsse Euer Majestät freudenspendende Hand.
Wohl hatte mein ganzes Herz den Aufenthalt Euer Majestät in dem lieben Gastein verfolgt und im Geist die drückende Sommerglut und den erkaltenden Schneefall mit empfunden, aber wie meine heißen Gebete trotz alledem in Erfüllung gegangen, so wolle Gottes Gnade auch fernerhin Euer Majestät mit Seinen Fittichen decken und vor allem Übel bewahren.
Noch für eine andere Wohltat möchte ich Euer Majestät gesegnete Hand küssen, nach der
sich mein Herz mit vielen Tausenden im Lande gesehnet, nämlich, dass der
Adalbert Falk hatte am 22.
Januar 1872 das Kultusministerium
übernommen. Durch sein Schulaufsichtsgesetz vom 11. März 1872 endete der
Einfluss der Kirche auf die Volksschule. Auch gegen den
polnischsprachigen Unterricht der katholischen Schulkinder in Posen und
Westpreußen war sein Wirken gerichtet. Mit der Unterstützung der
Nationalliberalen gelang es ihm, für seine Gesetze Mehrheiten im
Parlament zu erlangen. Im Ergebnis wurde die Trennung von Staat und
Kirche gestärkt. Ein Unterrichtsgesetz, welches das Schulwesen gegen
Verwaltungswillkür absichern sollte und das 1876 im Entwurf vollendet
war, scheiterte am Widerspruch des Finanzministers gegen die Mehrkosten.
Der Evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen Preußens suchte
Falk durch die 1875 von einer außerordentlichen Generalsynode gebilligte
und auch 1876 vom Landtag genehmigte Synodalverfassung für die
Kirchenprovinzen in den acht alten Provinzen Preußens eine selbständige
Stellung zu geben. Dies benutzte die Hofpredigerpartei, um bei Kaiser
Wilhelm I. gegen Falk zu
agitieren. Zuerst wurde der von Falk berufene Präsidenten des
altpreußischen Evangelischen Oberkirchenrats Emil Herrmann gestürzt, dann Falk 1878 zum
Abschiedsgesuch genötigt. Zwar wurde Falk 1878 noch im Amt erhalten,
doch als Bismarck 1879 während
der Zolltarifsverhandlungen im Reichstag sich der Zentrumspartei
näherte, zog
Falk es vor, einer Entlassung durch Erneuerung seines Gesuchs, sich
auf die parlamentarische Tätigkeit beschränken zu wollen,
zuvorzukommen, das am 14. Juli 1879 bewilligt wurde. Sein Nachfolger,
Robert Viktor von Puttkamer,
stärkte die Stellung der Geistlichkeit im Schulwesen. Vgl. Brehm,
Johannes, Entwicklung der evangelischen Volksschule in Masuren im Rahmen
der Gesamt-Entwicklung der preußischen Volksschule, Bialla 1914, S. 440
ff.
[Schließen]Bann, der seit Minister Falks
Zeiten auf der Schule gelastet, gehoben und den Religionsstunden wieder
mehr zu ihrem Rechte, der Bibel zu ihrem ersten Platze in der
Volksschule verholfen, und der Katechismus den Kindern wieder unverkürzt
zum Eigentume geworden. Ich ersah es aus der heutigen Per Kabinettsordre vom 1. August 1884 hatte der
Kaiser das Protektorat über den aus Anlass der Lutherfeier neu
begründeten Central-Verein der Deutschen Luther-Stiftung übernommen. In
der Kabinettsordre sprach er sich dahin aus, dass es ihm „ein
erhebender Gedanke sei, dass auf diesem Wege das Gedächtnis des großen
Reformators stets lebendig werde erhalten werden, und das aus seinem
Gott geweihten Werke für die evangelische Christenheit unaufhörlich
neuer Segen sprieße, der sich von Geschlecht zu Geschlecht übertrage.“
Am 8. August 1884 traf er nach seiner Badekur in Gastein in Babelsberg ein.
[Schließen]Zeitung, und mein Herz dankte Gott und Euer Majestät für dies Geschenk, welches
vielen Segen der Volksschule wieder bringt Editorische Auslassung [...].
Gott kröne Euer Majestät mit reichstem Segen, das erfleht aus Herzensgrunde Euer Majestät alleruntertänigste
Anna Gräfin Lehndorff geb. Gräfin Hahn
Zitierhinweis
Anna Gräfin von Lehndorff an Kaiser Wilhelm I. Steinort, 10. August 1884. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail.xql?id=lehndorff_gzd_zg2_cy