Friedrichstein, 21. August 1852

Meine teure geliebte Anna.

  Editorische Auslassung [...] Mit ein Grund der immer längeren Verzögerung meiner Antwort auf Deinen lieben, allerliebsten Brief mit der liebenswürdigen Einladung zu   Anna Gräfin von Hahn heiratete am 16. September 1852 in Basedow Carl Meinhard Graf von Lehndorff. - Über den alten Grafen von Hahn hatte Lehndorffs Großvater Ernst Ahasverus Heinrich Graf von Lehndorff am 19. Juni 1753 während eines Besuchs in Mecklenburg in seinem Tagebuch geschrieben: Graf Hahn sei der „Krösus dieses Landes, der wie ein Harpagon wohnt; alle seine Baulichkeiten haben das Aussehen, als stammten sie noch aus der Zeit der Zerstörung von Jerusalem. Dieser Mann liebt nur das Geld und weiß nichts von den Freuden des Lebens. Übrigens ist Mecklenburg ein schönes Land, und der Adel erfreut sich einer großen Freiheit.“ Zum Tod des Grafen Hahn: Giebel, Tagebücher, S. 494.
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Eurer Hochzeit
war auch die gänzliche Ungewissheit über die Möglichkeit unseres Kommens, während ich immer hoffte, Dir „nächstens“ etwas Bestimmtes darüber sagen zu können. Nun freilich haben wir eine Bestimmtheit darüber erlangt, die aber meinen innigen und sehnlichen Wünschen und Hoffnungen leider ganz entgegen ist. Der König nämlich hat sich zum 23. September uns in Friedrichstein angesagt, und wenn dieser hohe Besuch auch eine große Ehre für uns ist, so gestehe ich doch aufrichtig, dass er mir zu jeder anderen Zeit viel mehr Freude gemacht haben würde als eben jetzt, wo er mir die Möglichkeit raubt, Eurer lieben teuren Hochzeit beiwohnen zu können, worauf ich bis zu dieser letzten Entscheidung immer noch mit so sehnlicher Zuversicht gehofft hatte. Wenn auch vielleicht die physische Möglichkeit vorhanden wäre, zwischen dem 15. und 23. die Reise von Basedow hierher zu machen, so erfordert doch ein Königsbesuch so viele Vorbereitungen, dass man nicht daran denken kann, so kurz vorher eine längere Abwesenheit zu machen, indem gerade in der letzten Zeit vor diesem Ereignis so vieles zu bedenken, anzuordnen und auszuführen ist, was die persönliche Anwesenheit dringend erfordert, zumal in einem Hause, welches nicht gerade auf den Basedower Zuschnitt montiert ist.

So muss ich denn Abschied nehmen von der lieblichen Hoffnung, in der feierlichen Stunde, wo Gott Euch, Ihr Geliebten, fürs Leben vereinigt, in heißer Liebe Euch an mein treues Schwesterherz drücken zu dürfen und aus weiter Ferne nur können meine Gedanken zu Euch fliegen und meine inbrünstigen Gebete für Euch zum Himmel steigen.   Editorische Auslassung [...] Wichtiger und unerlässlicher als die unsrige ist nun jedenfalls für Euch noch Papas Anwesenheit bei Eurer Hochzeit und wie gern möchte ich Dir, meine Herzens-Anna! eine Bestimmtheit hierüber geben. Vor zwei Monaten, als er bei uns war, schien er ganz entschlossen, sofern ihn alsdann seine Gesundheit nicht daran verhinderte, der liebenswürdigen Einladung Deiner verehrten Eltern folgend, nach Basedow zu reisen, um der Hochzeit seines geliebten ältesten Sohnes beizuwohnen und Euch, seinen teuren Kindern, in der feierlichen Stunde seine alten Vaterhände segnend aufs Haupt zu legen. Seit jener Zeit aber hörten wir nichts von ihm; alle Briefe meines Mannes an ihn blieben unbeantwortet (denn ich muss zu meine Schande nun gestehen, dass ich ihm auch nicht geschrieben habe, da mein Mann es für mich übernommen), und wir wissen daher jetzt gar nichts über seine Pläne und hoffen nur von Tag zu Tag auf ein Lebenszeichen von ihm oder seine persönliche Ankunft, welche nach schriftlichen Mitteilungen seiner Leute an die unsrigen seit längerer Zeit schon in Aussicht steht. Es würde meinen Schmerz über meine eigene Abwesenheit in dem Moment Eurer Trauung noch verdoppeln, wenn auch Papa nicht dabei zugegen wäre, und doch fürchte ich fast, dass auch über seinem Haupte und Hause die Möglichkeit eines königlichen Besuchs schwebt, was jedoch, soviel ich weiß, noch nicht entschieden ist. Sobald es mir gelingt, etwas Bestimmtes über Papas Pläne zu erfahren, werde ich es Dich, meine Anna! oder Carl schleunigst wissen lassen.   Editorische Auslassung [...] Sie hofft, dass Carl seine bevorstehenden Examen glücklich hinter sich bringen wird, denn erst dann dürfe er sich seines bräutlichen Glücks freuen und dem Ziel seiner Wünsche festen und stolzen Schrittes entgegen gehen. Er muss erst schwere Prüfungen siegreich bestehen um sich seine Braut zu erringen, wie in den alten romantischen Zeiten des Rittertums! Carl habe ihr mitgeteilt, dass Ihr gleich nach Eurer Hochzeit eine Reise nach unserem alten Preußen machen wollt, damit Du Steinort und die hiesigen Verwandten kennen lernst. Da sie nicht zur Hochzeit kommen können bittet sie, dass Ihr baldmöglichst nach Friedrichstein kommt   Editorische Auslassung [...] Ich hoffe, Ihr werdet es so einrichten können, dass Ihr vor dem 23. September hier sein (könnt), um uns den König empfangen zu helfen; es wäre zugleich eine so passende Gelegenheit, Dich ihm als seine neue Untertanin vorzustellen und – und wenn ich auch nicht glaube, dass die Eitelkeit zu meinen hervorragendsten Fehlern gehört, so will ich Dir doch im engsten Vertrauen gestehen, dass ich nicht wenig eitel auf diese neue preußische Untertanin, respektive Schwägerin bin   Editorische Auslassung [...], denn wenn auch in den besagten Königstagen selbst ich Dich weniger ungestört werde genießen können, so wird doch später eine Zeit der Ruhe eintreten, in welcher wir das Versäumte treulich nachholen wollen   Editorische Auslassung [...]

Deine Pauline Dönhoff

Zitierhinweis

Pauline Gräfin von Dönhoff an Anna Gräfin von Lehndorff. Friedrichstein, 21. August 1852. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail.xql?id=lehndorff_lgx_drf_4y