Angerburg, den 25. März 1834

Ew. Exzellenz entschuldigen, wenn ich mir erlaube, Folgendes an dieselben gelangen zu lassen, wozu die Veranlassung Folgende ist:

Ich habe vernommen, dass der üble Erfolg meiner Kur an Vorarbeiter Schulz bei Ew. Exzellenz gegen mich gesprochen und böser Leumund es vermocht hat, meine Bemühungen, für Ew. Exzellenz pecuniäres Interesse stets besorgt zu sein, in ein dunkles Licht zu stellen, allein ich kann mich für diesen Fall durch Folgendes rechtfertigen.

Als ich Abends zum Vorarbeiter Schulz in Taberlack ankam, fand ich, als den Verband anlegen wollte,  Es fehlt ein Wort: dessen Bein
 [Schließen]
bei Ansehung desselben
so zerschmettert, dass ich beim Verband durch das Gefühl verschiedene Knochenstücke entdeckte, welches ich auch dem Kranken und die Umstehenden äußerte. Da ich bedeutende Entzündung, welche oftmals in Brand unter solchen Umständen übergeht, vermutete, blieb ich beim Kämmerer über Nacht, die ich schlaflos wegen Ungeziefer im Bett zubrachte.
  Johann Gottlob Bernstein's Praktisches Handbuch für Wundärzte nach alphabetischer Ordnung; nebst einem französischen und einem vollständigen deutschen Register. 1786-1787
 [Schließen]
Bernstein in seinem Praktischen Handbuch für Wundärzte
unter dem Titel Beinbruch sagt: Den ersten Verband kann man für gut angelegt halten, wenn der Leib unter dem Verband zwar geschwollen, die Geschwulst aber weich ist. In solchen Fällen lässt man den Verband, welches auch hier der Fall war, ruhig liegen. Ferner sagt selbiger am angeführten Ort: Ein Knochenbruch heilt zuweilen sehr schwierig, oft gar nicht zusammen, und zwar wenn ein häutiges Wesen sich zwischen die   Unleserliche Stelle [...] begibt, 2) wenn durch öftere Bewegung die Bruchenden glatt und gleichsam mit Knorpel überzogen werden, 3) wenn ein Knochenstückchen sich zwischen beide Bruchenden legt und gegenseitige Berührung derselben hindert. Kann nicht einer der hier angegebenen Ursachen Hindernis zur Heilung gegeben haben?
Wohl sagte ich auch dem Schulz einigemal vor meiner Abreise des Morgens, dass alles auf den ersten Verband und dessen Dauer ankäme. Wenn dieses 12 bis 14 Tage ungestört bleiben könnte, desto sicherer würde die Heilung gelingen, doch ich wurde leider schon den 7. Tag durch ein Schreiben des p. Scheimann zum Schulz verlangt und eine Fuhre nach mir geschickt, indem ihm der Fuß schmerzte. Bei meiner Ankunft sagte dessen Frau, sie hätte ihm die Bänder, so die Schiene festhielten, locker machen müssen, wonach der Fuß ihm angefangen hätte zu schmerzen. Mir blieb also nichts übrig, als den ganzen Verband aufzumachen und zu erneuern, dass die Lage eines Beinbruchkranken äußerst unangenehm, ist wohl nicht zu bezweifeln, dass aber diese in der Chirurgie abzuändern unmöglich ist, wird jeder sich überzeugen, da die geringste Unruhe des gebrochenen Gliedes, besonders wie hier mit Zerschmetterung des Knochens der Fall war, nachteilige Folgen nach sich ziehen musste.
Selbst bei meinen nachmaligen zwei Besuchen war äußerlich nichts in die Augen fallendes Nachteiliges zu erkennen. Sobald Kranker etwas Veränderliches an seinem Fuße bemerkte, hätte er ja nur einem der Beamten davon Anzeige machen lassen, da alle Tage welche nach Taberlack kommen. Der Haupt- und zweckmäßigste Verband muss am 14. Tage erst stattfinden, indem von da ab die Kallus - oder Knorpelbildung beginnt (  Johann Ludwig Caspers Wochenschrift für die gesammte Heilkunde
 [Schließen]
Caspers Wochenschrift für die gesamte Heilkunde
No. 49. 52 über Behandlung der Knochenbrüche vom Kreis Physikus Dr. Ludwig zu Euskirchen). Dass der Beinbruch des p. Schulz einem von den äußerst ungewöhnlichen Knochenzerschmetterungen bei der nun seit Monaten sorgfältig gepflogenen Kurpflege zuzuschreiben ist, wird jedem Kunstverständigen, dem Laien vielleicht nicht einleuchtend sein. Dass ich das Interesse Ew. Exzellenz Kranker vorzog, beweist ein Schreiben der Frau v. Saucken, welches ich noch besitze, wo zu ihrem Gemahl berufen wurde, ich aber derselben antwortete: dass ich erst nach Steinort müsste, um den Jungen des dasigen Hirten Schönfeldt, so den Fuß gebrochen hatte, zu verbinden. Die bestellte Fuhre vom Herrn v. Sauken kam den anderen Tag nicht wieder, ich verlor diese Familie dadurch, dass ich den Jungen des Hirten vorzog. Herr v. Sauken bezahlte mich jedesmal würdevoll. Schönfeldts Fuß, die Fleischbedeckungen und der gebrochene Unterschenkel, da solcher vom Schlitten an einen Stein geschleudert worden, war weder brandig, doch bei seiner Folgsamkeit und gutem Verhalten   Unleserliche Stelle [...] im Hause seines Vaters gut geheilt, obgleich auch hier Knochensplitter zu fühlen waren. Selbiger jetziger Stiefelknecht und sein Fuß hat keine   Unleserliche Stelle [...]lichkeit erlitten. Wohl habe ich während der geraumen Zeit, dass in den Vorwerken Ew. Exzellenz als Arzt und Wundarzt praktiziert habe, wohl manche schwierige Aufgabe gelöst, aber leider kommen solche in Vergessenheit. Seit dem Jahre 1816 kann auch niemand in hiesiger Stadt und Gegend sagen, dass jemand durch mich zum Krüppel geworden ist. Ein ähnlicher Vorfall, als wie mit Schulz, hatte ich mit dem   Unleserliche Stelle [...] vom hiesigen früheren Artillerie-Kommando, dem auch durch die elende ungeschickte Teilung eines Balkens (so wie dies auch bei Schulz der Fall gewesen) bei einer Scheune des verstorbenen Rendanten Krüger der Unterschenkel zerschmettert und gequetscht wurde, die Fleischbedeckungen, brandig, mussten wegen der bedeutenden Eiterung täglich verbunden werden, und dauerte solche Kurpflege über 5 Monate. Während dieser Kur kam Regimentsarzt Dr. Flemming aus Insterburg, um die Superrevision des Invaliden zu verrichten. Ich zeigte ihm diesen Kranken. Nach Besichtigung desselben sagte er zu mir, ihnen ist es besser gegangen als mir. Ein Dragoner fiel mit dem Pferde, brach den Unterschenkel, welchen ich den 4. Tag darauf abnehmen musste. Hinlängliche Genugtuung für mich, da dieser Mann im Rufe eines geachteten Arztes und Wundarztes steht.
Mag immerhin die Frau des Vorarbeiters Schulz sagen, dass die Weiber in Drengfurt besser Beinbrüche wissen zu heilen als ich, doch sie weiß ja nicht, dass es auch sehr diffizile Beinbrüche zu heilen gibt. Dem Senator Eckert in Danzig fiel ein Ziegel auf den einen Unterschenkel, die ausgesuchtesten Ärzte von verschiedenen Nationen, die damals in Besatzung waren, waren bei jedesmaligem Verband, ich war auch dazu eingeladen und habe einige Nächte bei ihm zugebracht. Er starb am Beinbruch den 10. Tag.   Editorische Auslassung [...] Es folgen weitere Beispiele von erfolglosen Behandlungen von Brüchen in Königsberg und Berlin.
Selbst während der Zeit, dass ich in den Gütern Ew. Exzellenz fungiert, habe ich auch das Interesse auf Begehren des jedesmaligen Inspektors so wie in Steinort als auch in Stawken in Betreff der   Unleserliche Stelle [...] Besatzmannschaft von den Gütern, so viel, wie mir nur möglich war, berücksichtigt, wenn es hieß, ja diesen und jenen Bauern   Unleserliche Stelle [...] nicht entbehren, besonders wenn die Übung des hiesigen Bataillons begann. Obrist-Leutnant v. Duve und Major Johannes zu Königsberg waren einmal beim Departements-Geschäft, es wäre   Unleserliche Stelle [...] gut, dass ich als Militär auch in Steinort als Arzt fungierte, wohl wusste ich, worauf dies zielte. Dem Major Johannes kamen verschiedene Male Atteste von Garde-Landwehr Männern aus Ew. Exzellenz Gütern zu Augen, die Ihm verdächtig schienen. Der Kämmerer Poltzien hatte 3 bis 4 Mal Attest, dass er an einem kranken Fuß jedesmal litt, wenn er nach Königsberg zur Übung beordert wurde. Im Jahr 1830, wo wegen der  Novemberaufstand von 1830/31
 [Schließen]
Revolution in Polen
auch das Garde-Landwehr-Bataillon mobil gemacht wurde, musste auch Poltzien nach Königsberg sich gestellen, ich gestehe, um Ew. Exzellenz diesen Poltzien hier zu erhalten, handelte ich aufs Neue pflichtwidrig, ich gab auf einem Attest Poltzien als innerlich krank an, um Zeit zu gewinnen, ihm die früher in dem Attest angegebenen Fußgeschwüre zu erkünsteln. Der jetzige Inspektor Pohl nahm ihn sodann mit der Getreidefuhre nach Königsberg, beschwichtigte den damalige Bataillons-Arzt Klingspor vom Garde-Landwehr-Bataillon mit einem  Bestechungsgeld
 [Schließen]
d'or gratuis
, so dass derselbe diese Geschwüre chronisch oder als eingewurzelte anerkannte. Major Johannes über das ofte Ausbleiben von den Übungen beruhigte sich nicht, er bestand auf einer Superrevision, die Regimentsarzt Albrecht verrichtete, der solche nicht als alte Geschwüre anerkennen wollte. Inspektor Pohl zeigte Ew. Exzellenz, die gerade in Königsberg sich befanden, dies an, Ew. Exzellenz schrieben an General-Arzt Krantz, der p. Pohl davon unterrichtete, dass Poltzien nochmals zur Besichtigung gesandt werden sollte, auf wessen Veranlassung ist mir entfallen, so dass der Bataillons-Arzt sich graviert fühlte. Poltzien kam zum General-Arzt Dr. Krantz und wurde durch seinen Spruch das Gutachten des Bataillons-Arztes bestätigt. Letzterer warnte mich in einem nachherigen Schreiben, künftig bei ähnlichen Fällen behutsam zu handeln, indem Major Johannes den Poltzien ins Lazarett hätte nehmen wollen, um Versuche zur Heilung der Geschwüre zu machen   Editorische Auslassung [...] Im Lazarett hätte er den Betrug gestehen sollen, wofür er als Soldat entlassen worden wäre. Gegen den Arzt wäre eine Untersuchung angestrengt worden. In diesem Fall hätte er sich belastender Schreiben Lehndorffs „erinnert‟, der ihn mehrfach zu diesen „Gefälligkeiten‟ aufgefordert hätte. Auch Wachtmeister Mosack hatte Lehndorff auf diese Weise vom Regiment gelöst; dieser hatte daraufhin verbreitet, dass Lehndorff bis zu seinem Tode ihn zu ernähren habe.
Die Verabredung wegen Ew. Exzellenz Untertanen in Betreff der Kurpflege nach dem Tode des p. Kayser betraf auch nur Steinort und die dazu gehörigen Vorwerke, so wie Herr Bataillons-Arzt Schillinger solche übernommen hat. Stawken und Pristanien waren damit nicht gemeint, weil beide der damalige Pächter Berent nach diesem getroffenen Übereinkommen noch einige Jahre in Pacht hatte. Wohl hatte ich einen Kämmerer und Knecht von dem Pächter Berent in Kurpflege, für welche er mir besonders bezahlte. Während der Zeit, dass der Inspektor Strehl Stawken und Pristanien verwaltete, habe ich dann und wann einige Kranke zu behandeln gehabt, für welche Behandlung ich nichts erhalten, auch von mir nichts liquidiert worden ist. Doch während der Zeit des Inspektors Gericke und dem kleinen Zeitraum des Inspektors Käsewurm vermehrte sich die Reisen und Verschreibungen der Kranken zu Stawken und Pristanien, so wie auch solches die Rechnungen des Apothekers Buchholtz beweisen werden. Oftmals erinnerte ich den verstorbenen Inspektor Gericke, dass es nicht meine Schuldigkeit sei, Stawken und Pristanien in Betreff der Kranken umsonst zu besuchen, sondern insbesondere Renumeration mir dafür zuteil werden müsste, welche er auch oftmals nach vorhergegangener Besprechung mit Ew. Exzellenz zu leisten versprach. Ew. Exzellenz werden es mir daher nicht übel deuten, wenn ich vor 4 Jahren für die in Stawken und Pristanien geleisteten ärztlichen Dienstreisen, gemachte Aderlässe und Rezeptverschreibungen, in Betreff wegen der Kranken geschriebener Briefe 40 Rtlr. pro Jahr 10 Gr. hiermit liquidiere, und dabei Ew. Exzellenz gehorsam bitte, den jetzigen Inspektor Werner zur Zahlung dieser Summe zu veranlassen.   Editorische Auslassung [...] Zur besseren Erinnerung des Grafen erinnert er an den Fall des Hochzinsers zu Stawken, der, vom dortigen Jäger gestoßen, monatelang an einer Gehirnerschütterung litt, die im schlimmsten (Todes)Fall in einem Prozess und mit hohen Ausgaben geendet hätte. Auch für dessen Kurpflege war er nicht entschädigt worden, eben sowenig für Arzneimittel, als die Ruhr in Serwillen grassierte.
Ich habe wahrheitsliebend diese weitläufige Vorstellung nur deshalb unternommen, um zu beweisen, dass ich das Interesse Ew. Exzellenz bei allen vorkommenden Gelegenheiten, ohne den mindesten Gewinn extraordinäre dadurch gehabt zu haben, wahrgenommen habe, dass ich den Vorarbeiter Schulz und dessen Frau beim Verbinden in ihrem Jammer damit trösten zu müssen glaubte, dass, wenn nachteilige Folgen durch diese Verletzung zurückbleiben möchten, Ew. Exzellenz für seine künftige Existenz wohl Sorge tragen würden, da solches in Hochdero Diensten geschehen wäre, dadurch glaubte ich keinen Missgriff getan zu haben, viel mehr glaubte ich es den Menschen schuldig zu sein, da ich einen ähnlichen Fall in den Gütern des Herrn Grafen von Maltzahn im damaligen Südpreußen zu beobachten Gelegenheit gehabt habe.

Mit vollkommenstem Respekt zeichne ich mich als Ew. Exzellenz gehorsamster Diener

Gallen

Zitierhinweis

Arzt Gallen aus Angerburg rechtfertigt sich für eine fehlgeschlagene Behandlung bei dem Vorarbeiter Schulz in Taberlack. Angerburg, 25. März 1834. In: Die Spiegelung neuzeitlich-bäuerlicher Lebenswelten in den Akten ostpreußischer Gutsarchive. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2021-2023. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail.xql?id=lehndorff_pbl_kfj_xrb