Berlin, 11. November 1762

Ich habe Sie mir bis zuletzt aufgespart. Das ist der erste der acht Dankesbriefe, den ich über den gleichen Gegenstand schreibe, und ich gestehe Ihnen, dass ich keinen Geist mehr besitze, um irgendwelche neuen Idee über einen so undankbaren Text, wie  Während sich Lehndorff mit dem Hof noch in Magdeburg aufhielt, war die Prinzessin schon am 9. August 1762 nach Berlin zurückgekehrt. - Am 21. Oktober 1762 hatte Prinz Ferdinand an Lehndorff wegen der Rückkehr des Hofes geschrieben: „Wenn meine Wünsche ebenso wie die der Berliner erhört werden, wird dieses Gesuch [der Gräfin Camas wegen Rückkehr, d. Bearb.] nicht bewilligt werden, da soviel Menschen mehr in der Hauptstadt dermaßen die Preise aller Lebensmittel verteuern würden, dass niemand mehr für Geld etwas wird haben können.“ und freute sich noch am 30. Oktober, dass der Hof noch weiter in Magdeburg bleiben wird, „solange es dem Herrscher gefällt, dem Schiedsrichter über Frieden und Ruhe in unserer Hemisphäre“, vgl. ebd., S. 141 f.
 [Schließen]
mein Geburtstag
ist, zu finden, ich will Ihnen also mit einem Wort, Herr Graf, meinen ganzen Dank aussprechen für Ihre Aufmerksamkeit und die schmeichelhaften und liebenswürdigen Dinge, die Sie mir in Ihrem Briefe sagen. Mein kleines Verdienst glaubte sich um zwei Zoll erhöht, als ich das Loblied auf mich las; aber ich habe es sogleich wieder heruntergeschraubt. Jetzt finde ich, dass ich heute nicht mehr wert bin als gestern, und morgen werde ich vielleicht nicht so viel wert sein wie heute, so dass alles mitgerechnet und nach allen Abzügen ich nicht viel wert bin.

Ich beklage Sie aufrichtig wegen der Langeweile, die Sie empfinden über die geringe Abwechslung, die Sie genießen, und über den ewigen Umgang mit Baron Müller und dem verliebten Präsidenten von Voß; ich bedaure, das „er‟ und besonders „sie‟ sich gegenseitig vor dem Publikum lächerlich machen; kaum noch atmen zu können und an Liebe und Liebesgeschichten zu denken, erscheint mir im höchsten Grade abgeschmackt, kurz, sie hat den Trost, dass niemand ihre Eroberung ihr streitig macht.

Ich fahre unausgesetzt fort, Berlin liebenswürdiger und reizvoller zu finden, und ich amüsiere mich königlich, jedoch ohne dass Liebe dabei ins Spiel kommt. Ich gebe meinem Neffen Bälle und Konzerte und wähle für ihn die beste und niedlichste Gesellschaft aus, die zu finden mir nicht die geringste Mühe macht, wie Sie wissen.   Er schrieb am 27. November an seinen jüngeren Bruder: „Ich habe mich in meinem Leben nicht so gut amüsiert wie während dieses Aufenthaltes in Berlin.“ Vgl. Berner, Die Teilnahme König Friedrich Wilhelms II. von Preußen am Siebenjährigen Krieg, in: Hohenzollern-Jahrbuch 1892, S. 238 f.
 [Schließen]
So ist er denn auch zufrieden und möchte, dass es ewig währt.
 der englische Gesandte
 [Schließen]
Herr Mitchell
ist angekommen, und der  Der russische Gesandte; er hatte dem Feldlager des Königs in Schlesien beigewohnt. Am 19. November schreibt Lehndorff, sein Eintreffen in Berlin habe der ganzen Stadt den Kopf verdreht. „Alles singt nur sein Lob und erwartet große Feste von ihm.“ Vgl. Schmidt-Lötzen, Nachträge, Bd. 1, S. 361, dessen Charakteristik ebd., S. 363, sowie Giebel, Tagebücher, S. 493. Im Mai 1772 sieht Lehndorff Repnin wieder und stellt große Veränderungen fest, auch stehe er nicht mehr so in der Gunst des russischen Hofes, vgl. Nachträge, Bd. 2, S. 248 f.
 [Schließen]
Fürst Repnin
wird täglich erwartet; er wird seine Frau kommen lassen, die schön sein soll wie Venus; ich zweifle jedoch, dass sie meine Nichte überstrahlen wird. Wir werden nächste Woche, Dank dem dicken Wedell, Brot haben, das man Hunden zu geben pflegt, und das Schrotbrot heißt. Wenn ich dem Fürsten Repnin und den anderen Ministern ein Souper geben werde, stellen Sie sich das Gesicht dieser Leute vor und die Scham, die ich innerlich empfinden werde, dass ich sie so schlecht behandle.

Ich bitte Sie, die Cocceji tausendmal von mir zu grüßen und ihr zu sagen, dass ihr älterer Bruder hier ist, und dass er Oberstlieutenant geworden ist.

Adieu, Herr Graf, verzeihen Sie die Kritzelei und die Unordnung in meinem Briefe und denken Sie bisweilen an die Abwesenden.

Amalie

Zitierhinweis

Prinzessin Amalie von Preußen an Ernst Ahasverus Heinrich Graf von Lehndorff. Berlin, 11. November 1762. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail.xql?id=lehndorff_s1h_xfn_fz