Gastein, 10. August 1875

Meine Tante,

ach Ihr seid so lieb und gut, mich so treu mit Nachrichten zu verwöhnen   Editorische Auslassung [...] ich hätte Euch so viel zu erzählen und schriftlich ist das alles so mühsam! Unsere Kaiserzeit war zu reizend und Gastein kommt uns ganz leer und öde vor, seitdem der liebe liebe Herr fort ist! Ein so gemütliches Zusammenleben mit ihm hätte ich mir nie träumen lassen, und man ist so recht vom Kaiser begeistert, von seiner hinreißenden Liebenswürdigkeit und wahren Herzenswärme! Fünf Mal war er den Abend hier und außerdem sah man ihn täglich draußen auf dem schönen Kreisweg am Morgen oder am Nachmittag beim Kegelspiel, an dem er immer vorbeifuhr und fast jedesmal ausstieg. Einmal hat er uns zum Diner eingeladen, nach Böckstein, es   Unleserliche Stelle [...] wie das Dorffest nach der Schweizerhütte. Das war auch zu allerliebst, es hatte ganz den Anschein eines Familien-Diners. Ach Tante, länger und länger recht könnte ich Dir davon schreiben, und es tut mir zu leid, dass ich Dich nun so bald nicht sehe, um Dir alles zu erzählen!

Am letzten Abend schenkte er uns noch seine Photografie und ganz wunderhübsche Geschenke, die er selbst verteilte und aus seinen Taschen hervorholte. Ich bekam ein wunderschönes Armband und Du kannst Dir denken, von welchem Wert mir das ist, aus dieser kaiserlichen Hand selbst empfangen zu haben! Am anderen Morgen standen wir alle 8 Damen mit eben so vielen Leutnants, die die Buchstaben „Heil, WILHELM‟ trugen, hier vor der Solitude, wo der Kaiser ausstieg und mit den rührendsten Worten Abschied von uns nahm!

Du kannst Dir denken, wie unsere Herzen ihm nachweinten, als sein Wagen davonrollte und unsere Gebete Segen auf seinen Weg herabflehten! Der arme Heinrich Lehndorff, nach dem Du dich so teilnehmend erkundigst, reiste hier recht elend ab. Er war schon in Ems krank gewesen, erhohlte sich aber sichtlich hier, bis er sich auf einer Hasenjagd von neuem erkältete, und die letzten Tage an einer Halzentzündung recht krank war, so dass Lauer ihn kaum wollte reisen lassen.

Und nun läst sich in dieser Woche unser ganzer Verein hier auf - am Freitag gehen wir noch alle zusammen nach München und dort ist Trauung. Ich reise mit Eulenburg nach Berlin, während die übrige Gesellschaft eine kleine Rhein-Spritzfahrt macht.   Editorische Auslassung [...]

Eure Euch zärtlich liebende gehorsame Nichte

Emmy

Zitierhinweis

Emmy von Below an ihre Tante Therese Gräfin zu Eulenburg. Gastein, 10. August 1875. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail.xql?id=lehndorff_sfb_dcy_cqb