Brosowken, den 20. Febr. 1836
Hochgeborner Herr, Insonders Hochzuehrender Herr Graf
Ew. Exzellenz werden gnädigst verzeihen, was ich Ew. Gnaden vorzutragen habe.
Mein verstorbener Mann mit Namen Michael
Heinrich ist in Ew. Exzellenz Gütern geboren und auferzogen und
heiratete mich, als 60 Jahre alt war. Ich habe mit ihm zusammen 13 Jahre gelebt und 3
Kinder mit demselben gezeugt, 1 ist gestorben und 2 sind am Leben. Mit meinem Mann
habe ich 6 Jahre in Kittlitzen gewohnt und
7 Jahre in Serwillen
[Schließen]Szerwellen, wo mein
Mann immer als Hirte war und sich auch sehr gut aufführte. Als mein Mann schon
schwach war, wollte er sich bei Ew. Hochgeboren um Unterstützung melden, jedoch ich
ließ es nicht zu, sondern sagte, ich bin noch jung und werde arbeiten, und du kannst
auch noch arbeiten, so viel es in deinen Kräften steht, und wollen uns nähren und Sr.
Exzellenz nicht zur Last fallen, so verblieb es auch. Mein Mann ist im Jahre 1833 im
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schreibt sie, er sei im Herbst verstorben.
[Schließen]Monat Mai gestorben und ich habe
mich und meine Kinder bereits 3 recht volle Jahre ehrlich ernährt und bin Ew. Gnaden
nicht zur Last gefallen, also schon über 4 Jahre in Ew. Exzellenz Güter gewohnt habe
und treu und redlich mich aufgeführt. Dieses fiel mir aber sehr schwer, aus meiner
Handarbeit mich und meine Kinder zu nähren, und noch 15 Sgr. Wohnungsmiete und 15
Sgr. Klassensteuer zahlen, das fiel mir schwer, und um Ew. Gnaden nicht zur Last zu
fallen, wollte ich mich mit dem John
verheiraten, indem ich dachte, mir leichter zu machen. Dieser John hat vom Monat Mai
1833 im Tage Gänse und in der Nacht Ochsen gehütet bis zu 24. August
[Schließen]Bartholomäi
1835, da setzte ihn der Herr Inspektor Werner von dem Dienst ab und wir bekamen da kein Brot.
Der John
hat also im Ganzen gegen 5 Rtlr. verdient, denn er bekam täglich 2 Sgr. gerechnet,
und ich ging auch täglich in Arbeit bis zu der Zeit, wo schon genannt ist. Da der
John nicht mehr hüten durfte, ging er nach Brosowken und vermietete sich daselbst als
Hirt, wo wir auch von Neujahr hinzogen,. Von meinem und dem John seinem Verdienst
haben wir im Ganzen entnommen 1 Scheffel Weizen und 1 Scheffel Korn und 1 Rtlr. 15
Sgr. bar Geld, und das übrige hat der Herr Inspektor behalten und meinem verstorbenen
Mann seine Schuld eingerechnet. Meinem verstorbenen Mann wurde in der ganzen Zeit
seines Hütens keine Geldschuld zugerechnet, bloß in den 2 vorletzten Jahren, wo er in
Szerwellen Kälber hütete, wurde uns jährlich 1 Rtlr. Miete, 1 Rtlr. für den Garten
und 2 Rtlr. für Heu, also für 2 Jahr 8 Rtlr., und in den ganz letzten Jahren wieder
nichts gerechnet, und da starb mein Mann im verflossenen Herbste aber schon.
Ausgangs des Jahres 1835 wurde mein und dem John sein Verdienst ohne das
Entnommene darauf verrechnet, und es blieben noch 2 Rtlr. Rest. Der Herr Inspektor
hat aber mich arme Witwe und über die Weisen kein Erbarmen gehabt, und für die
schuldigen 2 Rtlr. mir meine Kartoffeln, welche ich vergraben hatte, ca. 8 Säcke,
aufgegraben und nach Steinort hinbringen,
dass ich nichts behielt. Als das der John sah, dass ich in solchen elenden Stand
gesetzt wurde, ließ er mich mit meinen Kindern im Stich und entfernte sich ganz von
mir. Jetzt in dieser großen nahrungslosen Not hat die Dorfschaft Brosowken meine
Hungersnot nicht mehr übersehen können, und nahmen meine Kinder, luden sie auf den
Schlitten und fuhren sie nach Szerwellen mit dem Bemerken, wo ich solche lange Jahre
gewesen bin, soll ich auch länger bleiben. Mit großen Schmerzen musste ich das Elend
ansehen, als mir meine Kinder vor den Augen genommen wurden und nach Szerwellen
gebracht, und ich musste zurückbleiben wegen meinen Sachen, wo mir schon viele
genommen wurden, und ich weiß nicht, wo ich bleiben soll, suche daher bei Ew. Gnaden
Zuflucht. Wollen Ew. Gnaden mich nicht annehmen, so weiß ich keinen anderen Rat als
ich muss zuerst den Kindern das Leben nehmen und nachher mir selbst, denn auch auf
diesen elenden Gedanken bin geraten, ich sehe dahero entgegen, dass Ew. Gnaden sich
meiner annehmen werden und mich ansetzen, wo ich schon Miete zahlen will und arbeiten
gehen werde,
ganz untertänigste
Marie Heinrich Witwe
Zitierhinweis
Die Witwe Marie Heinrich bittet Graf von Lehndorff um Unterstützung. Brosowken, 20. Februar 1836. In: Die Spiegelung neuzeitlich-bäuerlicher Lebenswelten in den Akten ostpreußischer Gutsarchive. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2021-2023. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail.xql?id=lehndorff_stn_km5_msb