Es ist erstaunlich, dass es in Berlin noch ebenso hergeht, wie bei meinem Herkommen. Die Teuerung ist schrecklich, und trotzdem halten manche Leute noch ein offenes Haus, wogegen andere aber auch wieder in großer Not sind. Bei der Bürgerschaft hingegen liegen die Dinge ganz anders; diese ist wohlhabend und lebt in großem Prunk, vor allem die Juden, die Paläste bauen und prachtvolle Gärten anlegen. Itzig und Ephraim sind Millionäre und saugen dem Staat das beste Blut aus. Auch ist da ein gewisser Stein, ein getaufter Jude, der einen ungeheuren Reichtum besitzt. Er ist eine wahre Geißel für die Bevölkerung, da er die Herren vom Direktorium so in der Tasche hat, dass man Korn nur aus seinen Speichern zu kaufen wagt, weshalb auch ganz Berlin verschimmeltes Brot isst. Das Volk ist darüber aufgebracht; es werden Schmähschriften und Drohungen öffentlich ausgehängt, aber man lässt sie schreien und bedrückt sie weiter. - Die Belagerung von Schweidnitz, die der König unternommen hat, bildet jetzt das Hauptgespräch. Man hofft, dass die Einnahme dieser Festung den Frieden bringen werde.

Zitierhinweis

Tagebucheintrag von Ernst Ahasverus Heinrich Graf von Lehndorff. Berlin, August 1762. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail_doc.xql?id=lehndorff_a2s_5ww_rdb