Die drei Wünsche

Im innersten Kreise gab sich der Carol noch überlegener, gewagter und amüsanter. Wie viele Kaminabende waren wir bei ihm im Kaminzimmer, in dem die Simson-Gobelins eine barocke Wandtapete voller Ockergelb und verblasstem Rot abgaben. Davor flammte das Blauweiß des China-Porzellans. Davor aber strahlte der alte geistvolle Mann mit dem schneeweißen Kopf, geschnitten wie das Bildnis des Cervantes.

Kennst du unsere Familiensage nicht, fragte er mich. Anni warf dazwischen: Eine Bitte, Onkel Carol! Bitte-bitte nur die exoterische Fassung. Das Gesicht vom Carol war ein einziges ironisches Lächeln:

Warum? Warum denn nicht, Kindchen? Überhaupt, wieso? Du kennst ja die andere Fassung nicht? Oder? Zu mir gewandt: Die Mädchen behaupten, es gäbe eine unpassende Version. Woher wissen sie das? Urteile selbst. Es gibt nichts Unschuldigeres bei der zweiten Flasche Portwein pro Kopf, als die gotische Geschichte.

Wie es kam, dass sie Edelleute in Steinort wurden, hing von drei Wünschen der Vorfahren ab.

Er war ein guter, frommer Landsknecht und traf bei Frauenburg auf den Sankt Peter samt dem Johann, wie sie in geringer Kleidung nach dem Osten zogen. Er wanderte mit ihnen. Was der gute Bruder erbettelte, teilte er treulich den beiden Heiligen mit. Wenn sie zur Nacht Unterkunft suchten, sprach der Landsknecht um Herberge an für ein Gottvergelts. So zogen sie über Braunsberg, Mehlsack und Heilsberg. Hier wollte der Landsknecht sie verlassen und auf Königsberg zugehen. Sankt Peter sprach zu ihm:

Lieber Bruder, zieh weiter ostwärts mit und gen Rastenburg. Es wird dir ohne Schaden sein. Wir wollen die Heilige Linde aufsuchen, in welcher die Mutter Gottes erscheint.

Der Landsknecht ließ sich überreden, dachte aber bei sich: Hat mich der Teufel zu den Bettelleuten getragen?

Doch half er ihnen redlich weiter. Als sie aus Bischofstein gingen, sprach Sankt Peter zu ihm: Wir wollen dir für deine Hilfe und Treue etwas Gutes geben. Wir wurden zu rat, wir wollen dir drei Wünsche erlauben.

Der gute Landsknecht war es wohl zufrieden, achtete sich aber keiner Hoffahrt. Als sie nun in der Maienzeit durch die Große Wildnis gingen, hörten sie die Vögel überaus fröhlich singen, Da sprach der Landsknecht:

Ei, so gebe Gott, dass mein erster Wunsch wahr werde, dass ich so schön könnte singen, dass kein Mensch auf der Welt könnt über mich singen.

Solches ward von Stund an wahr. Aber der Sankt Peter war voller Zorn über den törichten Wunsch. Als sie bei Rössel über die Hügel gingen, sahen sie hinab in ein Tal voller grüner Weiden. Dorthin hatten die Pferdezüchter Stuten getrieben und zu ihnen den Hengst, dass er sollte Fohlen machen. Da hinab schaute der gute Landsknecht und sah den Hengst mit funkelnden Augen daherspringen, der Rösser machen wollte. Da tat jener seinen zweiten Wunsch:

Ei so gebe Gott, dass ich dasselbe Feuer in meinen Augen bekomme. wie jenes Roß hat. Das geschah flugs. Da ward erst Sankt Peter fuchsteufelswild und es reute ihn bitter, dass er ihm die Wünsche erlaubt.

Sie wanderten fort. Als sie auf die Höhe hinter Rosengarten kamen, sahen sie einen schönen Edelsitz vor ihnen liegen. Das war Steinort. Darin wurde dem Edelmann das Maienbad gehalten. Es standen Pfeifer und Trommelschläger vor dem Hause und musizierten, dass es weit über die Seen klang. Da fing der Landsknecht an und sprach:

Nun, so gebe Gott, dass mein dritter Wunsch wahr werde, dass ich dem Edelmann von Steinort so gleich sehe, dass man keinen von dem anderen unterscheiden kann.

Das wurde unverzüglich wahr. Der Sankt Peter aber fluchte gotteserbärmlich und sprach:

Du Narr! Das hilft dir nichts. Du musst doch ein armer Teufel bleiben.

Und er verließ ihn samt Sankt Johann, und sie wandten sich auf Angerburg. Er wusste aber nicht, wie es ausgehen würde, und dachte, so elend wie dem Hans im Glück. Aber es ging das Widerspiel.

So zog der Landsknecht allein auf Steinort. Dort fing er an zu singen, dass es weit und breit erscholl. Der Edelmann hörte den Gesang und ließ den Sänger hereinkommen und im Saale singen. Der Gesang gefiel ihm überaus wohl und er frug:

Landsmann, willst du auch ein Maienbad?

Der gute Bruder sprach: Ja.

Da mussten ihm die Leute auch eine Badewanne eingießen. Als sich der Landsknecht ausgezogen hatte und nackt dastand, sprang er flugs in die Wanne zu dem Edelmann. Die Knechte wollten ihn heraustreiben. Aber sie konnten nicht erkennen, welcher ihr Junker und welcher der Landsknecht war, denn die beiden sahen einander gleich.

Sie liefen zu der Edelfrau, die sollte sagen, wer der rechte sei. Als die Frau kam, wusste sie auch nicht, welcher ihr Junker war, so gleich waren die beiden. Als sie aber die Augen des Landsknechts von dem Hengstfeuer funkeln sah, sprach die Frau: Der ist es, der ist es.

Darauf zwangen die Leute den Edelmann, dass er aus der Wanne heraus und des Landsknechts Kleider anlegen musste und stießen ihn aus dem Schloss. Dergestalt also ward der gute Landsknecht zum Edelmann von Steinort und Sankt Peter hatte nicht gewusst, dass ihm die närrischen drei Wünsche zu großem Glück verhelfen sollten. Denn die Menschen wissen nicht, was Gott will.

Der frühere Edelmann von Steinort aber lief zum Sankt Peter in Angerburg. Der nahm ihn mit sich und verhalf ihm zu dem Abtsitz der Abtei Zarnikau.

Carol: Ich habe vollgewichtige Beweise, dass ich in gerader Linie von dem guten Landsknecht abstamme. Es erklärt, ihr Lieben, meine vielen Liebeshändel und auch, meine guten Kinder, ein wenig meinen Tenor.

Zitierhinweis

Erinnerungen. Ca. 1967 . In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail_doc.xql?id=lehndorff_ecq_j1x_yhb